104 Jahre wäre meine Großmutter heute geworden. Elfriede Ida, geboren am 31.12.1917 in Borne, einem kleinen Dorf bei Breslau war wie eine Mutter für mich. Sie wurde in den ersten Weltkrieg hineingeboren und überlebte auch den Zweiten. Ihr Vater und der Standesbeamte hatten wohl bereits einen Tag zuvor angefangen, das Leben zu feiern. Mit den Zahlen nahmen sie es jedenfalls nicht mehr so genau. In ihrer Geburtsurkunde steht ein falsches Datum. Davon ließ sich meine Omi nicht beirren. Jedes Jahr an Silvester standen wir beide am Fenster und freuten uns über das Feuerwerk. Wir lachten über uns, weil wir uns einbildeten, dass es ausschließlich zu Ehren ihres Geburtstages stattfand. Gleichzeitig zitterte sie aber auch bei jedem Knall mit unserem kleinen Hund um die Wette, weil sie an die Bomben des Krieges erinnert wurde.
Friedchen flüchtete mit zwei kleinen Kindern und ihrem blinden Vater aus Schlesien. Ihr Hab und Gut zog sie in einem Bollerwagen hinter sich her. Heute steht der Wagen aus Holz im Garten meiner Tante, die eines der beiden Kinder war, und ist mit Blumen bepflanzt. Aus einer Vergewaltigung durch einen Soldaten gab es noch ein drittes Kind. Meine Omi nannte es mit viel Wärme in ihrer Stimme „Das Russenkind“. Es war unser Geheimnis und auch, dass sie das wenige Essen, was sie hatte, nicht mit ihm teilte, aus Sorge, dass dann keines ihrer Kinder überlebte. Die Trauer darüber nahm sie mit in ihr Grab, auf dessen Grabstein nichteinmal ihr wirklicher Geburtstag steht. Den goldenen Ring, den sie vom Täter als Entschuldigung bekam, gab sie mir. In ihrer Erzählung schwang jedes Mal auch Mitleid mit diesem damals knapp 17-jährigen russischen Soldaten mit.
Das war ein kleiner Einblick in meine persönliche Lebensgeschichte, die von der transgenerativen Weitergabe von Trauma durch sexualisierte Gewalt geprägt ist und warum es TABUMOVE gibt. Ich verlor den Ring. Es wäre schön, wenn meiner Familie auch eines Tages dieses Trauma verloren geht.
Meinen herzlichsten Glückwunsch an alle Geburtstagskinder an diesem besonderen Tag. Kommt alle gut ins neue Jahr und lasst uns das Beste daraus machen!