Wir sind die Arbeitsgruppe (AG) „Gegen Instrumentalisierung und Vorratsdatenspeicherung“ – des selbstorganisierten und selbstbestimmten politischen Zusammenhangs Betroffener von sexualisierter Gewalt in Kindheit und/oder Jugend (bundesweit).
Seit 2008 liegen Entscheidungen verschiedener Verfassungsgerichte/Gerichtshöfe vor, die die Vorratsdatenspeicherung (auch Verkehrsdatenspeicherung) für verfassungswidrig halten, weil sie die Persönlichkeits- und Freiheitsrechte einschränken. 2014 entschied der Europäische Gerichtshof, dass die Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung ebenso nicht mit der EU-Grundrechte-Charta vereinbar ist.
Wir sagen NEIN! – Das Aushebeln von Grundrechten ist nicht in unserem Sinne ! – Das interessiert die Herrschenden nicht!
Eingesetzt von der Bundesregierung fordert Johannes-Wilhelm Rörig, unabhängiger Beauftragter der Bundesregierung für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs (UBSKM), im Namen der Betroffenen sexualisierter Gewalt, Datenschutz einzuschränken und nimmt in Kauf, dass dadurch Grundrechte und digitale Freiheiten entzogen werden. In diesem Sinne wird die digitale Überwachung in Europa ausgeweitet.
Obwohl die europäischen Gerichte und das Bundesverfassungsgericht der Vorratsdatenspeicherung mehrfach eine Absage in Bezug auf Freiheitsrechte und informationelle Selbstbestimmung erteilt haben, treibt Rörig im Einklang mit den Konservativen der Bundesregierung weiter die digitale Überwachung voran und versucht uns, die Betroffenen von sexualisierter Gewalt, für diesen Freiheitsentzug zu benutzen. Nicht nur, dass es überhaupt nicht Teil seiner Aufgaben ist (nachzulesen auf der Website des UBSKM), hat auch der Betroffenenrat am 1. Juli 2021 keine diesbezügliche Aussagen zur Ausweitung der Kompetenzen der Sicherheitsorgane, zur Einschränkung der Freiheitsrechte im digitalen Raum, in seiner Stellungnahme gemacht. Somit stellen wir uns entschieden gegen den Versuch der Vereinnahmung durch den UBSKM ! Wir sprechen uns gegen jede Maßnahme aus, die die digitale Überwachung ausweitet und das Recht auf informationelle Selbstbestimmung verletzt – einschließlich der Vorratsdatenspeicherung!
Kurzer Abriss zu Uns
Wir sind ein Zusammenschluss von Einzelpersonen, die in ihrer Kindheit/Jugend/Jungerwachsenenalter Opfer von sexualisierter Gewalt wurden. Wir kamen nach den beiden „Mitsprachekongressen“ (2016 + 2018 in Berlin), die vom UBSKM und dem Betroffenenrat initiiert wurden, zusammen und riefen eine Selbstorganisierung ins Leben. Wir sind eine offene Selbstorganisierung, an der alle Menschen, die betroffen von sexualisierter Gewalt in Kindheit und/oder Jugend waren, teilhaben können. Was uns eint, sind Wunsch und Wille, an einer gesamtgesellschaftlichen emanzipatorischen Transformation mitzuwirken, in der die strukturellen und direkten Voraussetzungen für sexualisierte Gewalt aufgehoben werden.
Auf den beiden „Mitsprachekongressen“ diskutierten wir die Frage nach den Konsequenzen für die religiösen Einrichtungen, die Umsetzung der Hilfemaßnahmen im Rahmen des Fonds Sexueller Missbrauch, die Reformierung des Opferentschädigungsgesetzes (OEG) zu 2024, den Ausbau der internationalen Kontakte und die weitere Umsetzung der gemeinsamen Organisierung. Weiterhin wurde der vom UBSKM eingesetzte Betroffenenrat öffentlich gemacht und wir formulierten Forderungen von Betroffenen – von denen so gut wie keine umgesetzt wurde.
Themen und Aufgaben
Auf beiden Kongressen war die Ausweitung der Überwachung im digitalen Raum kein explizites Thema, und Betroffene haben diese auch nicht als Forderung eingebracht. Es gibt in Bezug auf das Thema kein einheitliches Bild innerhalb der bundesweiten unterschiedlichen Betroffenenorganisierungen und Einzelpersonen. Die Vernetzungen und Zusammenkünfte von Betroffenen sind in dieser Frage sehr heterogen; es ist damit unangebracht und verfälschend, im Namen der Betroffenen eine stärkere Überwachung zu fordern.
Der Entzug von Freiheitsrechten sowie die Ausweitung von digitaler Überwachung – unabhängig davon, ob sie als nationale oder europäische Initiative eingebracht werden – schränkt immer die Freiheiten – auch die der Betroffenen sexualisierter Gewalt – ein und ist der falsche Weg, um der gesellschaftlichen „Normalität“ sexualisierter Gewalt entgegen zu wirken. Das Signal um besseren Opferschutz, mehr Sicherheit, verschärfte Strafverfolgung etc. ist manipulierend und fadenscheinig, wie auch die aktuellen Aufarbeitungsprozesse um die Institution Kirche und die „Pädosexuellen“-Netzwerke zeigen.
Dass der UBSKM Rörig mit seiner Anwesenheit die Pressekonferenzen der Sichehreitsdienste zur Präsentation der jährlichen Kriminalstatistik weiht, ist ein Eingeständnis in die Tatsache, dass die sexualisierte Gewalt ohne gesamtgesellschaftliche Änderungen Normalität bleibt. Das Schaffen neuer oder „härterer“ Gesetze bestätigt nur das Versagen des Staates im Rahmen seiner Schutzpflicht (s. auch hierzu die Stellungnahme des Betroffenenrates vom 1.7.2021 zur Gesetzesreform).
– Wir sprechen uns gegen (digitale) Überwachung und gegen die „Aufweichung“ der Verschlüsselung aus – KEINE Hintertüren !!
– Wir sprechen uns gegen den Alleingang des UBSKM aus!
– Wir sprechen uns gegen jede europäische Initiative der digitalen Überwachung aus!
Zum Schluss wollen wir uns für die von Herrn Rörig im Interesse der Betroffenen geleistete Arbeit bedanken (insbesondere für die Mitsprachekongresse), da er ankündigte, dieses Jahr (2021) von seiner Position zurückzutreten. Wir wünschen ihm alles Gute.
Und wir hoffen auf eine gute Zusammenarbeit mit dem Betroffenenrat.
August 2021